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Wie dir ein Anker dabei hilft, die Schlüsselstelle trotz Angst zu klettern

Verena Haselsteiner-Köteles | 15. Mai 2016
8 Kommentare

Gerade in der Schlüsselstelle kommt’s drauf an. Und gerade da schlägt das Herz bis zum Hals … kennt ihr das? Verena von 6Bplus schreibt heute über eine unglaublich wirksame Technik, mit der du wieder an dein Potenzial rankommt.

Über viele Jahre hindurch bin ich neue Routen so lange im Toprope geklettert, bis ich mir Tausendprozent sicher war, dass ich die Route durchsteigen kann.

Erst dann bin ich in die Route im Vorstieg eingestiegen. Du kannst dir natürlich ausrechnen, wie weit ich damals unter meinen Möglichkeiten geblieben bin. Es passte mir auch gar nicht, immer jemanden zu brauchen, damit das Seil in meine Wunschrouten kam. Und das alles nur wegen meiner Sturzangst…

Das wollte ich ändern – und so bin ich 2010 mit mentalem Training in Kontakt gekommen.

Im mentalen Training habe ich mir Techniken angeeignet, die mich beim Klettern optimal unterstützen. Heute kann ich mich schon vor dem Einstieg zuversichtlich auf die Kletterroute einstimmen und auch für den Moment, an dem sich eventuell die Angst in der Kletterroute bemerkbar macht, habe ich eine Strategie entwickelt.

Jene Technik, die mich an der Schlüsselstelle am besten unterstützt – die Ankertechnik – möchte ich dir heute vorstellen.

Die Ankertechnik: Warum hilft's?

Bei der Ankertechnik werden Erfolgserlebnisse an einer Körperstelle verankert, die auch während des Kletterns leicht zugänglich ist. Durch das bewusste Berühren dieser Stelle, wird das Erfolgsgefühl wieder aktiviert.

Natürlich sind wir beim Klettern mit Berührungen am Körper ziemlich eingeschränkt, da Hände und Füße meist an Griffen und Tritten positioniert sind. Daher habe ich mir eine Körperstelle gesucht, die ich in jeder noch so verzwickten Klettersituation berühren kann – bei mir ist es der Gaumen gegen den ich mit meiner Zunge drücke.

Dort sind mittlerweile unzählige meiner motiviert-mutigen Klettererlebnisse abgespeichert und ich kann sie auf Knopfdruck wieder abrufen. Mein Körper erinnert sich beim Auslösen des Ankers an die vergangenen Erfolgserlebnisse und die damit verbundenen positiven Gefühle.

Wie du deinen Anker erstmalig setzen kannst

Schritt 1: Begib dich in deiner Vergangenheit auf die Suche nach einer Situation beim Klettern, an der du dich trotz aufkommender Angst überwunden hast, weitergeklettert bist und die Kletterstelle schließlich gemeistert hast.

Schritt 2: Wähle eine Körperstelle aus, die du auch während des Kletterns problemlos berühren kannst. Ich kann dir dafür den Gaumen empfehlen, gegen den du mit deiner Zunge drückst.

Schritt 3: Suche gedanklich nochmals deine Idealsituation aus Schritt 1 auf und erinnere dich möglichst genau an die damalige Situation. Spür in das Gefühl hinein, das du genau in dem Moment hattest, als du dich fürs Weiterklettern entschieden hast.

Schritt 4: Wenn du das Gefühl aufgespürt hast, dann berühre genau in dem Moment deinen Ankerpunkt.

Schritt 5: Das Ankern kannst du mit beliebig vielen Ideal-Situationen aus deiner bisherigen Klettergeschichte wiederholen. Je mehr Erlebnisse an der Körperstelle verankert sind, stärker wirkt dein Anker. Wiederhole dazu die bisherigen Schritte und ankere die Erlebnisse immer an dieselbe Körperstelle.

Schritt 6: Du kannst jetzt die Wirkung deines Ankers ausprobieren. Stell dir vor, du bist beim Klettern an einer schwierigen Stelle. Sobald du das mulmige oder ängstliche Gefühl wahrnimmst, aktiviere den Anker indem du mit der Zunge gegen den Gaumen drückst. Und? Was hat sich verändert?

Verena in Kalymnos
In stark überhängenden Routen bin ich mental besonders gefordert - so wie hier in der Route DNA (7a) in der Grande Grotta auf Kalymnos. Da sind für mich unterstützende Mentaltechniken der Schlüssel zum Erfolg.

3 Tipps für die Anwendung deines Ankers

Tipp 1: Erfolgserlebnisse direkt ankern

Wenn du zukünftig Klettersituationen hast, in denen du erfolgreich weitergeklettert bist, kannst du mit Schritt 4 auch diese Gefühle dazu ankern. Da du kurz nach dem Erfolgserlebnis das positive Gefühl sehr intensiv wahrnehmen kannst, lassen sich dann besonders unterstützende Gefühle ankern.

Tipp 2: Bei Stress zuerst atmen, dann den Anker aktivieren

Nachdem die aufkommende Angst bei mir immer auch mit körperlichen Stress-Symptomen wie hektischer Atmung und zittrigen Händen einhergeht, nehme ich in der Kletterroute meist ein bis zwei bewusste Atemzüge, bevor ich den Anker aktiviere. Die Atmung hilft mir, dass der Stresspegel nach unten geht und die Ankertechnik noch besser wirken kann.

Tipps 3: Überleg dir positive Anker

Der Druck auf den Gaumen hat für mich noch einen weiteren tollen Aspekt. In mir löst er auch den Gedanken “nach oben” aus, da der Druck der Zunge nach oben geht. Ich hatte schon Kletterstellen an denen ich plötzlich einen starken Zug nach oben spürte, obwohl ich im Vorstieg über dem letzten Haken war – es konnte also definitiv kein Seilzug sein.

Fazit

Wenn sich an der Schlüsselstelle die Angst bemerkbar macht, dann ist eine Technik gefragt, die du auch mitten im Kletterfluss anwenden kannst. Wenn du die Ankertechnik verinnerlicht hast, dann benötigt die Anwendung dieser höchst effektiven Technik nur wenige Sekunden.

Und je mehr Erfolgserlebnisse du im Laufe deines Kletterlebens ankerst, umso stärker wird dich diese Technik unterstützen.

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8 Kommentare zu “Wie dir ein Anker dabei hilft, die Schlüsselstelle trotz Angst zu klettern

  1. Gute Frage. Wenn’s bei mir schon soweit ist, dass ich Angst und nicht nur Nervosität bemerke, hilft meistens nur ins Seil springen. Wenn es nur die Nervosität ist, hilft mir konzentriert durch die Nase ein- und durch den Mund ausatmen, oder mit jedem Zug an ein Wort denken, das meinen Fokus wieder zurückgibt.
    Das mit dem Anker und der Zungenspitze finde ich klasse, Verena, werde ich mal machen. Besonders das Bild „Es geht aufwärts“ gefällt mir super. Cooler Artikel!!

  2. Ich frage mich immer, was ich von/ in einer Route/stelle lernen kann / können werde und lenke damit meine gedenken weg von Leistungsdruck Angst hin zu einem positiven Erlebnis bei dem ich die Führung übernehmen und in jedem Fall etwas mitnehme.

    1. Hallo Sophie, lernen ist eine klasse Absicht. Auch in einfachen Routen kann man richtig viel mitnehmen, wenn man präsent klettert und voll dabei ist. Muss ja nicht immer die schwierigste Route sein. Und wenn dann doch mal: Vielleicht hilft’s da gerade schon von vorne herein das Fallen einzukalkulieren und sich mental drauf vorzubereiten.

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